Was ich gerne gewusst hätte, bevor ich nach Mosambik gereist bin

Jürgen

28.06.2019

Viel weiß man nicht über Mosambik, auch wenn es in letzter Zeit durch heftige Überflutungen doch einen kleinen Platz in deutscher Berichterstattung erhielt. Bei unserer Radtour durch dieses Land stießen wir auf viele verborgene Geschichten, Verbindungslinien nach Deutschland und fantastische Landschaften. Was ich gerne gewusst hätte, bevor ich nach Mosambik gereist bin:

  1. wie stark der Bürgerkrieg von 1972 (2 Jahre nach der Unabhängigkeit) bis 1992 das Land immer noch prägt. So sind die Straßen in Zentralmosambik erst 2017 ohne Militärkonvoi zu befahren; bis dahin gab es immer noch vereinzelte Kämpfe und Überfälle in dieser einstigen Rebellenhochburg.
    Auf dem Weg zum Gorongoza-Nationalpark wurde die extreme Armut durch die von den Bauern am Straßenrand angebotenen Waren veranschaulicht. Wurden an der Save noch massenhaft Ananas angeboten (aber auch nur Ananas, kaum andere Früchte!), so wurden es nach einigen Kilometern große mit Holzkohle gefüllte Säcke, die zum Verkauf standen. Bald reichte auch der spärliche „Wald“ nicht mehr zur Holzkohleproduktion und man sah am Straßenrand ganze Familien beim Steineklopfen, der dabei hergestellte Kies wurde wohl zum Straßenbau verwendet.
  1. wie schwer es ist, sich ein Bild von der Sicherheitslage im Land zu machen. Wir wurden bei unserer Ankunft in Mosambik von Meldungen über geköpfte Dorfbewohner in der Nähe von Palma (Küstenort im Norden von Mosambik an der Grenze zu Tansania) überrascht. Shabaab-Milizen (islamistische Gotteskrieger nach somalischem Vorbild) machen seit einiger Zeit die Provinz Cabo Delgado unsicher. Unser Plan war es ursprünglich, küstennah nach Norden zu radeln und nach Palma die Fähre über den Rovuma (Grenzfluss zu Tansania) zu benutzen. Die Reisewarnung des auswärtigen Amtes war eindeutig, das Peacecorps (US-amerikanischer Freiwilligendienst) hat alle seine Mitarbeiter aus der entsprechenden Provinz abgezogen, der Besitzer der Cua-Cua-Lodge am Sambesi dagegen hielt das Risiko für nicht besonders groß. Wir haben uns zu einer Routenänderung über Lichinga (Hauptstadt der Provinz Niassa) nach Songea in Tansania durchgerungen und wurden mit phantastischer Landschaft zwischen Gurue und Cuamba, idyllischen Teeplantagen und großartigen Baobabs am Niassasee (Lake Malawi) entschädigt.
  1. wie empfindlich mosambikanische Sicherheitskräfte auf Fotographieren reagieren. Das erste Mal bin ich auf der Brücke über die Save mit einem Militär zusammengestoßen: Ich wollte den imposanten Fluss fotographieren, der Uniformierte hatte dafür kein Verständnis, er wollte meinen Pass sehen, was ich sicherheitshalber nicht verstanden habe (ich kann auch wirklich kein Portugiesisch) und bin einfach weggegangen. Zum Glück hat er aufgegeben, mein Sohn musste bei einer ähnlichen Situation im Bahnhof von Cuamba alle Fotos löschen, um einer Verhaftung zu entgehen. Für normale mosambikanische Verantwortungsträger, seien sie uniformiert (Polizei oder Militär) oder auch in Zivil (Geheimdienst?), ist jeder, der Fotos von Gebäuden, der Landschaft, besonders natürlich von Brücken und Zügen macht, ein Spion. Etwas anderes können sie sich mangels Erfahrung mit Tourismus nicht vorstellen. Dafür blieben wir, solange wir auf dem Fahrrad unterwegs waren, von allen – bei südafrikanischen Autotouristen besonders gefürchteten – Kontrollen, Bakschischfallen oder anderen unangenehmen Begegnungen verschont. Im Gegenteil: Straßenkontrollen zeigten ein schon beinahe beleidigendes Desinteresse an uns.
  1. wie oft man über deutsche Geschichte stolpert. Im Netz hinreichend dokumentiert ist die Geschichte der insgesamt 22400 mosambikanischen Vertragsarbeiter (Madgermanes) in der DDR, die nach 1990 nach Mosambik zurückgeschickt wurden und dort noch immer auf den größten Teil ihres Lohns warten. Wenig bekannt ist dagegen der Anschlag von Unango, bei dem 1984 acht DDR Entwicklungshelfer, ein Jugoslawe und fünf bis fünfzehn (das weiß man nicht so genau!) Mosambikaner bei einem gezielten Überfall der Renamo (vom Apartheidsüdafrika und dem Westen unterstützte, äußerst grausame Rebellengruppe gegen die marxistische Regierung in Maputo) ums Leben kamen. Die DDR unterstützte in der Provinz Niassa eines der größten landwirtschaftlichen Projekte in Afrika mit bis zu 120000 ha Anbaufläche. Nach dem Überfall hat sich die DDR aus der Entwicklungszusammenarbeit mit Mosambik zurückgezogen. Wir sind an dieser Stelle (seit 2009 gibt es einen Gedenkstein für die getöteten Deutschen!) vorbeigeradelt, ohne über den Gedenkstein zu stolpern; was uns allerdings gewundert hat, war, hier auf die landwirtschaftliche Fakultät der Universität Lurio zu stoßen (die einzige universitäre Einrichtung der ganzen Provinz und wirklich „in the middle of nowhere“) und damit wohl auf ein Überbleibsel des einstigen DDR-Großprojekts.
  1. dass man auf Sand wirklich nicht Fahrrad fahren kann. Schlechte Straßen, Schlaglöcher, Pisten, alles kein Problem und sogar recht flott zurücklegbar, vor allem wenn man einheimischen Radlern hinterher fahren kann, aber wenn es weicher und sandiger wird, macht das Strampeln keinen Spaß mehr. So geschehen auf der Strecke von Lichinga nach Songea (Tansania) über den Grenzübergang „Unity2“. Wir hatten allerdings das unglaubliche Glück, dass wir kurz vorm Verzweifeln immer einen Lift bekommen haben, mit dem einzigen Fahrzeug, das an diesem Tag in unserer Richtung unterwegs war.