Südafrika – Über Gefahren, Paranoia und die privilegierte Blase

Mariam

01.10.2018

Blechhütte an Blechhütte erstreckt sich das Township ins Unendliche. Khayelitscha. Satellitenschüsseln und Kabelgewirr soweit das Auge reicht. Und in der Ferne der Tafelberg, der majestätisch über das Chaos wacht. Dann führt die Straße um eine Kurve und plötzlich öffnet sich der Blick auf die andere Seite. Das Meer. Blau-grün funkelnd, durchsetzt von glitzernden weißen Schaumkronen. Sandstrand und leicht bewachsene Dünen, in der Ferne die wunderschönen Berge des Kaps.

Ich bin in Südafrika. Ich gehe zur Weinprobe, in süße Cafés, esse gerne libanesisch oder äthiopisch und sperre mich nachts hinter die Zäune und doppelt verriegelten Türen.

Das Minibustaxi biegt von der Autobahn ab. Langsam werden wir unruhig. Doch eine Frau sagt uns: „Oh you want to hitchhike, come with me I will show you the best hiking spot“. Mit unseren großen Rucksäcken auf dem Rücken steigen wir kurz darauf aus. Um uns herum kleine Wellblechhütten. Die Frau läuft zwischen den Hütten hindurch und bedeutet uns mitzukommen: “Through here you can get to a good hiking spot on the high way“. Ich schaue meine Freundin kurz an, sie hebt leicht die Schultern, was ist unsere Alternative? Wir folgen der Frau, mitten hinein in das Township. Sie zeigt uns ihre Hütte, ihre Nichte: Ein süßes kleines Mädchen lächelt schüchtern aus der Tür heraus. Dann führt sie uns weiter, vorbei an den öffentlichen Toiletten und durch ein Zaunloch hindurch. Wir stehen an einem Seitenstreifen der Autobahn und bedanken uns lächelnd. Kaum 5 Minuten später hält ein Weißer in einem Truck an. „It’s too dangerous next to the township, you can’t hitchhike from here. I’ll take you to the next petrol station.“

Welten prallen aufeinander. Konstant. Und ich lebe in meiner weißen privilegierten Blase. In der Blase, in der mir jeder erzählt: Verwende keinerlei öffentliche Transportmittel – immer nur Uber -, laufe im Dunkeln nicht mehr draußen herum, halte dich von Townships fern, Hitchhiken ist sowieso ein absolutes No-go – da wäre man ja vollkommen verrückt – und bleibe am besten einfach in Deinen Touristenzonen. Eine Blase voller Angst, kolonialer Prägungen, Segregation und Rassismus.

Wie kann ich dieser Blase entfliehen? Gar nicht, ist wohl die Antwort. Ich bin eine Glücksgeburt in Raum und Zeit und werde das immer sein. Eine Freundin von mir meinte mal, vielleicht ist das Ziel auch gar nicht seine Blase zum Platzen zu bringen, sondern sie auszuweiten. Seitdem versuche ich erstmal durch die Wand meiner Blase hindurchzuschauen, statt mich zu verstecken. Für mich heißt, das all die paranoiden Warnungen nicht einfach zu übernehmen, sondern zu hinterfragen.

Wir stehen hier schlecht, sage ich zu meinem Reisegefährten. Aber wo willst du sonst stehen, wenn Leute anhalten wollen, dann halten sie. Eher hoffnungslos halte ich meinen Daumen weiter raus. Als ob Leute direkt hinter einer Kreuzung auf verbotenem Streifen halten… Ein super krasses Auto fährt vorbei. Wie protzig denke ich. Sharky1 steht auf dem Kennzeichen. Wow, ein Cadylac ruft mein autoaffiner Freund. Ich lache und halte weiter meinen Daumen raus, doch er zeigt hinter mich. Der hat gehalten. Vollkommen ungläubig schaue ich mich um. Tatsächlich lese ich dort wieder sharky1. Mitten im Halteverbot. Eine alte Frau sitzt alleine hinter dem Steuer, bestimmt über 80. Wir steigen ein. Die braunen Ledersitze haben eine Millionen Verstellmöglichkeiten und die alte Dame drückt leicht aufs Gas und zack schon sind wir auf 100 km/h und rasen durch die abgebrannte Waldlandschaft, während unsere Fahrerin mit uns über Umweltschutz redet.

Ich habe sehr viele sehr positive Erfahrungen gemacht und dadurch gelernt, dass es kein Problem ist mit dem Zug, zum Beispiel in der Kapstadter Region, zu fahren oder in Minibustaxis zu steigen, es gilt nur: nicht nachts und man sollte nicht in leere Minibusse, beziehungsweise leere Zugwagons steigen. Ich glaube es kommt auch viel auf die Ausstrahlung an: wenn man ängstlich und verklemmt einsteigt, wird man eher ausgeraubt, als wenn man sich wie selbstverständlich und offen lächelnd einen Sitz sucht. Auch nachts draußen rumlaufen kann man gefahrlos, wenn man in einer größeren Gruppe ist oder noch andere Menschen auf der Straße sind. Klar sollte man nicht durch Townships spazieren gehen, ganz abgesehen davon, dass sie keine touristische Attraktion, sondern Orte sind, wo Menschen leben. Aber ich bin öfters aus Versehen in Townships gelandet, wurde dort nicht ausgeraubt, sondern habe nur sehr nette Menschen getroffen, die mir den Weg gezeigt haben. Dafür wurden mir in einem ziemlich weißen Studentenclub in Stellenbosch mein Handy und Geldbeutel aus der Tasche gestohlen. Getrampt bin ich zwar in Südafrika noch nie alleine, würde es mir mittlerweile aber auch zutrauen, da ich mich bisher beim Trampen dort sehr wohl gefühlt habe. Gerade entlang der Garden Route ist der Daumen eine ziemlich praktische Reiseart, da es keine Minibustaxis gibt, die weite Strecken fahren und Busse relativ teuer sind. Außerdem gibt es nur eine große Straße, das heißt, jeder bringt dich in die richtige Richtung. Wir mussten nie lange warten, sondern wurden meistens schon nach wenigen Minuten vornehmlich von Weißen mitgenommen, die uns erklärten, dass wir doch auf gar keinen Fall trampen dürfen. Die Wenigsten, die uns mitgenommen haben, hätten vermutlich für jemanden der vielen farbigen Hitchhiker gehalten. Für mich war klar, dass ich auch Menschen mitnehme, wenn ich mal ein Auto zur Verfügung habe. Damit habe ich auch nur gute Erfahrungen gemacht. Ich hatte das Gefühl, die Leute waren immer ziemlich verdutzt und überfordert davon, von einer Weißen mitgenommen zu werden. Klar gilt es, wie immer im Leben, seinen gesunden Menschenverstand nicht auszuschalten und seiner Intuition zu vertrauen, aber dann sollte man die Chance nutzen und Südafrika nochmal aus einer etwas anderen Perspektive kennenlernen. Man kann zumindest aus seiner Blase heraus schauen, somit versuchen, Vorurteile auf beiden Seiten abzubauen und dabei auch noch wunderbare neue Erfahrungen machen, die ich rückblickend auf gar keinen Fall missen möchte.

Der Wind pfeift hinten auf der Ladefläche des kleinen Trucks. Ich ziehe meine Jacke zu und lächle. Das ist Freiheit denke ich, während die Landschaft an uns vorbei rast. Ich winke fremden Menschen im Auto hinter uns zu. Sie winken zurück. Ich strahle. Und dann kommt das Meer. Plötzlich fahren wir direkt an der Steilküste und die Straße windet sich nach oben, die Wellen, der Salzgeruch, die Sonne, der kalte Wind, dann Gleise, eine Bucht, eine Brücke. Erinnerungen an frühere Abenteuer. Ich lege mich hin und sehe nur noch blau, durchsetzt von weißen Streifen, an denen die Sonnenstrahlen vorbeiziehen.