Der Albtraum deiner Mutter #183: Über das Hitchhiken

Roxy

Roxy

10.05.2018

Nun, hier kann meine Mutter wahrlich nicht wirklich etwas sagen, hat sie meinen Vater doch nur deshalb kennengelernt, weil er an der Straße stand, seinen Daumen in die Luft hielt und sie ihn mitnahm. Dieses Ass hat nun aber nicht jeder im Ärmel, weshalb hier ein paar Argumente kommen, die die größten Bedenken Deiner Eltern etwas beruhigen sollten, wenn Du Dich auf eine Reise des Zufalls einlassen willst.

Bedenken #1: Hitchhiken ist Tod, das macht doch keiner mehr und sowieso, dich nimmt eh keiner mit.

Nach Jahren des Hitchhikens war ich plötzlich in der glücklichen Situation, für ein paar Jahre über ein eigenes Auto zu verfügen und fuhr, wenn ich auf längeren Strecken unterwegs war – ungelogen – an beinahe jeder Raststätte raus, um nach Hitchhikern zu suchen. Gefunden habe ich nur ein einziges Mal einen, der blöderweise bereits in Verhandlungen mit einem anderen Fahrer stand. Nachdem ich die halbe Strecke zu ihm gejoggt war, fiel mir auf, dass mein Wunsch, endlich zurückzugeben nun langsam in eine merkwürdige Richtung lief, verlangsamte meinen Schritt und beobachtete traurig, wie der Hitchhiker in das andere Auto stieg. Will sagen: es gibt eine Menge Leute da draußen, die früher viel hitchten und gerne Reisende mitnehmen. Oder sich über Gesellschaft freuen, einen Ersatzfahrer schätzen, oder, oder, oder. Die Menschen, die mich und Moritz eingepackt haben, könnten unterschiedlicher nicht sein. Vom Anzug tragenden Münchner im BMW, zur Kleinfamilie in Italien, über Trukkies in Griechenland zur Großfamilie im vollkommen überfüllten Kleinwagen in Kolumbien, zwischen Hühner gestapelt hinten auf dem Pickup in Kuba, in unterkühlten Geländewägen in Myanmar. Eine Erinnerung schöner als die andere. Vielleicht ist es nur in meiner Bubble so, doch viele in meinem Umfeld reisen am liebsten mit ihrem Daumen. Und auch wenn man unterwegs ist, trifft man auf viele Hitchhiker (aber eben nur dann, wenn man selber hitchhiked. Ich verstehe es einfach nicht!!!). Ich will nicht lügen, manche Orte wollten uns nicht mehr gehen lassen, doch ich glaube, in diesen Fällen haben wir uns auch ein bisschen angestellt. Erfahrungsgemäß findet man schneller eine Mitfahrt, wenn man Fahrer direkt anspricht, als wenn man nur mit einem Schild auf sich aufmerksam macht. So hat der Fahrer die Möglichkeit, dich kurz kennenzulernen, das macht einen großen Unterschied.

Bedenken #2: Wenn dich jemand mitnimmt, dann nur, weil er dir Böses will.

Tatsächlich habe ich mit dem hitchhiken ein großes Stück Vertrauen in die Menschheit zurückgewonnen: Mit Tränen der Rührung in den Augen weise ich das Geld zurück, das der Myanmar mir in die Hand drücken will, um Bustickets zu unserem Ziel zu kaufen. Knapp $100, ein unfassbares Vermögen in diesem Land, weil er sich um unsere Sicherheit sorgte. Ein Italienisches Pärchen fährt einen stundenlangen Umweg, um uns an den schönsten, der ihnen bekannten Schlafplätze zu fahren, am Fuße einer eindrucksvollen Burg, obwohl wir uns gerade so mit Händen und Füßen verständigen können. Ein mit sieben Kolumbianern vollgestopfter Kleinwagen kommt 10 Minuten nachdem er uns passiert hat wieder zurück und wir (drei) werden in den Kofferraum gefaltet, einfach, weil man gerne ein paar Fragen stellen möchte, wo wir so herkommen. Es endet mit einem Heiratsantrag. Ein junger Grieche nimmt uns einige 100km mit, sucht mit uns einen schönen Platz für unser Zelt, kommt dann nochmal zurück, um uns sicherheitshalber die Nummer der örtlichen Polizei zu diktieren (die wir selbstverständlich nicht gebraucht haben) und besteht dann darauf, uns am nächsten Morgen abzuholen, um uns zu einem besseren Startort für die Weiterfahrt zu bringen. Ein Italiener besteht darauf, uns Zugtickets zu kaufen, weil er uns nur dir halbe Strecke zu unserem Ziel fahren konnte. Nur mit größter Überzeugungskraft können wir ihn von seinem Vorhaben abhalten. Ein junger Spanier fährt uns an seinen Lieblingsstrand, obwohl er in der entgegengesetzten Himmelsrichtung seines Ziels liegt. Ein wunderschöner Strand, wir bleiben drei Tage. Will sagen: nichts könnte der Wahrheit ferner liegen. Wie immer gilt, eine Portion Menschenverstand und eine gute Verbindung zu deinem Bauchgefühl sollte eine Grundvoraussetzung für diese Reiseform sein. Wenn dir ein Fahrer suspekt vorkommt, steig bitte nicht ins Auto ein.

Bedenken #3: So kommt man doch niemals wo an und endet im Nichts.

Nun, ich gebe zu, ich war etwas skeptisch, als ich meiner Oma noch mit Blick aufs Meer versprach zu einer gewissen Zeit vor ihrer Haustür in den griechischen Bergen zu stehen, doch nach sieben verschiedenen Mitfahgelegenheiten lag mein Finger exakt zur verabredeten Zeit auf ihrer Klingel. Übrigens ist das Nichts ein schöner Ort, an dem man gut ein paar Tage verbringen kann. Man findet es eh viel zu selten.

Bedenken #4: Das machen doch nur Superhippies.

Das kann sein. Der oder die ein oder andere passt vermutlich in diese Kategorie, doch ganz bestimmt nicht alle. Das spannende an dieser Art des Reisens ist es ja, mit den unterschiedlichsten Menschen in Kontakt zu kommen, beinahe unselektiert, und so Vorurteile auf beiden Seiten zu überwinden. Das besondere am Hitchhiken für mich ist, dass man gezwungen ist, darauf zu vertrauen, dass man schon irgendwie an seinem Ziel (oder auch wo anders, warum nicht?!) ankommt. Wie oft lässt man sich schon auf ein solches Maß an Ungewissheit ein? Außerdem ist es ein gutes Ausstrahlungstraining. Je länger du an einem Ort stehst, desto weiter sinkt die Stimmung, umso weniger Chancen hast du, eine Mitfahrt zu finden. Denn wer will schon einen vollkommen abgenervten Fremden in sein Auto packen. Also musst du einen Weg finden, deine positive Ausstrahlung aufrecht zu erhalten, egal wie viele Absagen du bereits gesammelt hast. Ein super Zurückweisungs- und Motivationstraining. Wie oft hat man sonst die Möglichkeit, so ehrlich mit Menschen in Kontakt zu treten. Auf beiden Seiten bedarf es einer Menge Vertrauen, um eine solche Reisegemeinschaft mit einem Fremden zu schließen, doch das Geschenk, dass man für dieses Wagnis bekommt ist unbezahlbar.Und zu guter letzt: es würde mich nicht geben, wenn meine Mutter meinen Vater nicht mitgenommen hätte. Ich kann also gar nicht anders, als ein großer Fan dieser Reiseform zu sein.