36 Stunden in Swasiland
Das Taxi hält vor einem großen Gittertor. Vor dem Auto liegt dunkel der Nationalpark. Wir warten. Wir hupen. Nichts passiert. Wir warten weiter. Irgendwo links brennt ein kleines Licht. Sonst ist alles schwarz. Ich frage mich, wo ich gelandet bin. Ein Freund hatte mir das Sondzela Backpackers im Mlilwane Nature Reserve empfohlen. Und irgendwie hatte ich mich von Minibustaxi zu Minibustaxi zu diesem Taxi durchgefragt. Minibustaxis fahren so spät nicht mehr, wurde mir gesagt. Ich werfe einen Blick auf die Uhr im Auto: 19.06. Aber hier im Nirgendwo fühlt es sich wirklich an wie nach Mitternacht. Noch immer kein Zeichen von jemandem, der das Tor aufmachen könnte. Der Fahrer hupt wieder. Nichts. Doch dann kommt endlich ein kleines Licht auf uns zugetanzt. Beim näher kommen erkennen wir eine ältere Frau. Sie wohnt bei dem kleinen Licht links des Eingangs und erklärt uns, dass dies der Backentrance sei und für Autos gesperrt. Doch sie arbeite in dem Hostel und könne mich dort hin führen. Voll bepackt klettere ich durch das Tor. Auf dem Weg durch die vollkommene Dunkelheit steht plötzlich ein Zebra direkt vor uns. Das Hostel, das nach kurzer Zeit vor uns auftaucht, ist nur spärlich beleuchtet und scheint vollkommen vereinsamt. Die Rezeption ist schon längst geschlossen und nur der Nachtwächter ist noch irgendwo auf dem Gelände unterwegs. Die Frau zeigt mir kurz den Schlafsaal und ist dann wieder verschwunden. Es ist vollkommen still. Die einzigen anderen Gäste außer mir – ein junges deutsches Pärchen, nett aber sehr zurückgezogen – machen den Ort auch nicht viel weniger einsam. Draußen sitze ich noch eine Weile unter wunderschönem Sternenhimmel.
Ich erwache bei strahlendstem Sonnenschein. Das Rest Camp, bei dem die Wanderwege durch den Nationalpark beginnen, liegt nur 10 Minuten zu Fuß von dem Hostel entfernt. In dem Office, wo man sich für die Wanderwege eintragen muss, wird mir der Hippo Trail empfohlen und schon laufe ich motiviert los. Der Pfad windet sich durch Felder blühender Büsche und kleine Wälder, Kudus und Zebras in der Ferne. Ich genieße die weite Landschaft und die schönen Farben der Blumen. Irgendwann taucht der Weg wieder in einen kleinen Wald hinein, führt durch ein vor sich hin plätscherndes Bachbett, eine steile Böschung hinauf und durch die friedlich hoch aufragenden Bäume. Als der Weg aus dem Wald und wieder auf weites Feld führt, ist plötzlich direkt vor mir eine schwarze Wolkenwand. Ein Blick auf die Karte, die ich abfotografiert habe, verrät mir, dass ich ziemlich genau auf der Hälfte des Weges bin. Dann lieber weiter. Im Angesicht der schwarzen Wand vor mir beschleunige ich meine Schritte. In der Ferne donnert es. Ich möchte wirklich nicht nass werden. Nach einer Weile endet der Weg auf einem Jeep Track und auf der anderen Seite ist ein neuer Trail ausgeschildert. Gut, da fusioniert mein Weg eben mit einem anderen Weg, denke ich. Auf dem Steinblock neben dem Schild fehlt die Plakette, die sonst versehen mit einem gemalten Hippo meinen Weg markiert hatte. Aber es wird schon bald wieder ein Block mit Hippo-Plakette kommen, vermute ich. Alle paar Minuten krachen laut die Donner durch die Luft. Ich fange an leicht zu joggen. Nach etwa 20 Minuten schaue ich nochmal auf die Karte. Hätte auf meinem Weg nicht eigentlich ein großer Damm auftauchen müssen? Nach einiger Suche auf der Karte, finde ich den Trail, der auf diesem Pfad neu begonnen hat. Er führt geradewegs weg vom Rest Camp. Wieder ein Knallen. Ich zucke zusammen. Fuck. Wieso? Also zurück. Tropfen fangen an vom Himmel zu fallen. Ich renne den Weg zurück. Als ich an der letzten Weggabelung ankomme, regnet es schon in Strömen. Ich biege links ab auf den Jeep Track, die einzige mir logisch erscheinende Richtung. Weitere Donner krachen jetzt nah und laut über mir zusammen, am Himmel zucken Blitze. Der Weg gabelt sich vor mir. Links am Wald entlang, rechts am Wald entlang oder mitten übers offene Feld. Intuitiv laufe ich den rechten Weg lang, checke nochmal die Karte, laufe zurück, weiß nicht wo ich bin und stehe vollkommen planlos im strömenden Regen, als plötzlich einen Meter von mir entfernt Zebras aus dem Wald treten. Es hilft nichts sie nach dem Weg anzuschreien. Mein GPS geht nicht. Netz habe ich mit meiner deutschen Simkarte auch nicht. Übers offene Feld bei Gewitter scheint mir nicht sinnvoll, also beschließe ich links zu gehen. Immer wieder krachende Donner und helle Blitze. Ich bin vollkommen durchnässt. Möglichst nah am Waldrand, das Feld meidend, laufe ich weiter. Ich erreiche den Damm. Endlich. Ich bin also auf dem richtigen Weg. Da tauchen plötzlich zwei Gestalten aus dem Regen auf: zwei Arbeiter, die ganz entspannt mit ihren metallenen Arbeitsgeräten auf den Schultern durch das Gewitter marschieren. Ob sie denn keine Angst haben, mit dem Gewitter. Sollten wir?, kommt zurück. Das beruhigt mich nicht wirklich, aber immerhin bestätigen die beiden, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Sie biegen links ab und ich bin wieder allein im Regen. Joggend durchs Gewitter. Kein Plan wie weit es noch ist. Ich zähle die Sekunden zwischen Donner und Blitz. Es sind nicht viele. Als hinter mir Scheinwerfer eines Jeeps durch die Regenwand tauchen, springe ich erleichtert auf die Piste und werde die letzten Meter mitgenommen.
Als ich im Hostel ankomme, begegnet mir das deutsche Pärchen und sie erzählen, dass sie jetzt gleich in die Hauptstadt fahren. Ob sie mich mitnehmen sollen? Eigentlich wollte ich noch in die Hauptstadt, um das United World College “Waterford Kamhlaba” anzuschauen, ein internationales Internat bei dessen Pendant ich in Deutschland mal einen sehr coolen Sommerkurs besucht habe. Aber jetzt? Hauptstadt oder heiße Dusche?
10 Minuten später sitze ich in neuen trockenen Klamotten in dem kleinen Mietwagen. Die Sonne scheint wieder, nur die Straße ist sehr matschig. Als wir uns gerade den letzten rutschigen Hügel auf dem Weg zum Ausgang des Parks hoch kämpfen, kommt uns ein Laster entgegen, dem nur wenige Meter nach uns das Hinterteil wegrutscht, so dass er den ganzen Weg blockiert. Wir atmen erleichtert aus, als wir wieder feste Straßen erreichen. Angekommen in Mbabane, frage ich mich zum richtigen Minibustaxi durch. Die Fahrt geht in die Vororte der kleinen Hauptstadt und mein Sitznachbar sagt, er wohne direkt neben dem College. Also steigen wir gemeinsam am Fuße eines Hügels aus. Es nieselt schon wieder. Und in der Ferne bahnt sich ein Gewitter an. Natürlich habe ich wieder keine Regenjacke eingepackt. Wir fangen an, den Berg hoch zu laufen und strecken gleichzeitig den Daumen raus. Glücklicherweise bleibt nach ziemlich kurzer Zeit ein Auto stehen und bringt uns hinauf zum Parkplatz der Schule. Mittlerweile regnet es in Strömen und die Schüler*innen sammeln sich unter Vordächern und rennen von Gebäude zu Gebäude. Ich frage mich zum Besucheroffice durch. Die Leute dort sind sehr nett, ich unterhalte mich ein bisschen und es tut ihnen sichtlich leid, dass sie bei so strömendem Regen keine Campustour mit mir machen können. Dafür bieten sie mir aber an, dass ich auf dem Rückweg den Schulbus in die Nähe meines Nature Reserves nehmen kann. Die nächste halbe Stunde bevor der Bus fährt, will ich dann aber doch nicht dort sitzend verbringen und beschließe, mich trotz Regen ein bisschen auf dem Campus umzuschauen. Schließlich bin ich nur einmal hier. Bevor ich aus dem Büro laufe, werde ich aber noch gewarnt: hier sei der zweit-blitzeinschlag-gefährdetste Ort der Welt, da das College auf metallhaltigem Fundament gebaut sei und, dass es den Schüler*innen eigentlich grundsätzlich verboten sei, bei Gewitter über den Campus zu laufen. Draußen donnert es. Ich renne über den Platz vor dem Gebäude, stelle mich kurz unter, laufe weiter in irgendeine Richtung. Da sehe ich einen Jungen und ein Mädchen, die tiefenentspannt durch den Regen laufen, spontan frage ich, ob sie keine Angst hätten bei dem Gewitter. Die beiden zucken mit den Schultern. Und so entspinnt sich ein Gespräch und die beiden internationalen Schüler erzählen mir einiges über ihr Leben am United World College.
Später im Schulbus, fühle ich mich wieder sehr in meine Schulzeiten versetzt und bin froh, dass ich jetzt nur stumme Beobachterin der ganzen Angeberei, der getrennten Gruppen, dem Gossip und Selfies machen bin. Ich stelle mal wieder fest, dass auch United World Colleges eben doch nur normale Highschools sind, mit allem was dazu gehört. Als ich an der Endstation aussteige, zeigt mir der Volleyballlehrer mein nächstes Minibustaxi. Heute bin ich fest entschlossen kein Taxi zu nehmen, sondern mich mit Minibustaxis möglichst nah an den Backentrance durchzuschlagen. Alle Leute, die ich an der Bushaltestelle frage, wo mich das Minibustaxi rausschmeißt, wollen mich zum Mainentrance schicken und sagen ich sei vollkommen falsch. Aber ich weiß von letzter Nacht doch noch genau, in welche Richtung ich muss, nur die Stelle, wo ich raus muss, um von der Straße ab zum Backentrance zu laufen, muss ich finden! Da war doch auf der anderen Seite so ein Supermarkt… Irgendwann kommt tatsächlich ein Supermarkt, aber nach viel zu langer Zeit und er ist auch viel zu groß, um meiner Erinnerung zu entsprechen. Trotzdem steige ich aus. Mittlerweile ist es wieder stockdunkel draußen und ich stehe irgendwo in einem kleinen Dorf, keine Ahnung wo genau und wo genau ich hin möchte. Nachdem ich Leute nach dem Namen des Ortes gefragt habe, stelle ich auf meiner Handykarte fest, dass ich wirklich viel zu weit gefahren bin. Aber da war einfach kein Supermarkt. Ich fange langsam an, an mir zu zweifeln. Ist der Backentrance überhaupt hier irgendwo? Auf dem Weg zurück mit dem nächsten Minibustaxi scanne ich den ganzen Weg ab, aber es ist alles dunkel und ich kann nicht wirklich sehen, ob Pisten von dieser Straße abführen. Also stehe ich wieder an meinem Ausgangspunkt. Mittlerweile weiß ich gar nicht mehr, ob ich meiner Erinnerung trauen kann und kein Mensch scheint diesen Backentrance zu kennen. Also doch wieder ein Taxi. Zusammen mit dem Taxifahrer schaffe ich es dann doch, den Eingang zu finden – anders als ich es in Erinnerung hatte ist er ein ganzes Stück auf unbeleuchteter Piste von der Straße ab, so dass ich froh bin, dass ich nicht den ganzen Weg alleine durch die Dunkelheit laufen musste. Ich klettere durch das Tor. In den Nationalpark. Die Lichter des Taxis verschwinden in der Ferne. Ich laufe die Piste entlang, bis zu einer Gabelung. Eine Gabelung? In meiner Erinnerung gab es irgendwie keine Gabelung. Der rechte Weg ist durch eine Schranke blockiert. Eine Schranke? An eine Schranke erinnere ich mich nun wirklich nicht mehr. Also nach links. Der Weg führt auf ein paar Lichter zu. Doch als ich näher komme, erkenne ich, dass das nicht das Hostel ist. Einige Häuser stehen dort dicht zusammen, draußen brennen zwei Lampen. An Häusern sind wir aber gestern auch nicht vorbei gekommen, oder? Ich laufe näher heran, vielleicht kann ich dort jemanden nach dem Weg fragen. Ein Auto steht vor der Tür und in einem Fenster brennt Licht. Ich rufe. Hello? Is there someone? Stille. Langsam laufe ich zwischen zwei Hauswänden durch auf das beleuchtete Fenster zu. Hello? Ich klopfe. Keine Reaktion. Es bleibt vollkommen still. Und ich würde zweifelsfrei sagen: ich bin alleine hier. Aber das Auto? Und das Licht? Ich rufe noch ein paar mal in die Stille hinein, aber nichts verändert sich. Also drehe ich um. Dann wohl doch der Weg mit der Schranke. Es ist dunkel und mein Handy, meine einzige Lichtquelle, hat noch 6 Prozent Akku. Als ich wieder an die Gabelung komme sehe ich dann endlich das kleine Schild: Sondzela Backpackers. Und langsam kommt mir die Schranke doch bekannt vor. Nach ein paar Minuten bin ich endlich im Hostel angekommen und beschließe am nächsten Tag so früh wie möglich von hier wegzufahren.