4. Etappe: von Kalotina bis Malko Tarnowo
Kurz vor der bulgarischen Grenze laufen wir an einem Restaurant vorbei, in dem wir unsere letzten serbischen Dinars ausgeben wollen. Ich fühle mich wie im Schlaraffenland: die Gerichte sind so günstig, dass wir uns drei Gänge leisten können und der Kellner freut sich über ein nettes Trinkgeld. Mit vollem Bauch und leerem Geldbeutel laufen wir weiter zu dem Grenzübergang Kalotina und reihen uns in die Autoschlange ein – auch Pilger müssen anstehen. Mit unseren Rucksäcken und Wanderschuhen sorgen wir für Aufsehen. Ein Beamter ist von unserem Trail besonders begeistert: er schenkt uns eine Wasserflasche aus Deutschland, die er vor kurzem auf einem Berlin-Trip gekauft hatte. Sie soll uns Glück bringen.
Euphorisch laufen wir weiter, bis wir an eine Autobahnauffahrt kommen. Erst jetzt merken wir, dass sich weit und breit keine Ortschaft befindet und es noch 56 Kilometer bis Sofia, der Hauptstadt Bulgariens, sind. Doch bevor wir uns darüber Gedanken machen können, hält Ivan an und fragt, ob er uns mitnehmen könne. Erfreut steigen wir ein. Es entwickelt sich ein nettes Gespräch und wir beschließen, den Rest des Tages zusammen zu verbringen. Ivan ist Ende Zwanzig und arbeitet in einer Automobilfirma. Er erzählt uns, dass er häufig Tramper mitnimmt, da er gern neue Leute kennenlernt. Mit einem Freund von ihm besichtigen wir Sofia und lernen später das Nachtleben der Stadt kennen. Es ist eine schöne Zeit und wir freuen uns, Sofia mit Einheimischen zu erleben, schließlich bekommt man nur so einen Blick hinter die Kulissen.
Am nächsten Tag fahren wir nach Dupniza, eine kleine Stadt im Westen des Landes, und wandern von hier weiter in das Dorf Sapareva Banja. Hier wollen wir die nächsten zwei Tage damit verbringen, die angeblich schönste Landschaft Bulgariens zu erkunden – das Rila-Gebirge mit den „Sieben Seen“. Viel mehr hat der Ort allerdings nicht zu bieten. Es gibt nur einen kleinen Kiosk, in dem wir uns Brot und Käse kaufen. Den Abend verbringen wir mit Tagebuch schreiben und Kartenspielen, was zu unsere Lieblingsbeschäftigung geworden ist. Ich habe noch nie so oft Mau-Mau gespielt.
Wir stehen früh auf und machen uns gut gelaunt auf den Weg. Die Sonne scheint, es sind angenehme 25 Grad und wir finden nach kurzer Zeit einen Mann, der uns zum Ausgangspunkt der Wanderung bringt. Leider verstehen wir kein Bulgarisch, sonst hätten wir von ihm erfahren, dass die Seen auf über 2000 Meter liegen und es dort deutlich kälter ist, lediglich 10 Grad. Erst als wir aussteigen, verstehen wir, was er uns die ganze Zeit über erklären wollte. Es ist eisig und an den Hängen liegen noch Schneereste. Mit unseren kurzen Hosen und T-Shirts fühlen wir uns unter den anderen Touristen wie die absoluten Anfänger. Aber wir machen das Beste daraus: Ich bekomme ein Hemd von unserem Fahrer geliehen und meine Freundin erbettelt sich die Jacke des Ticketverkäufers. Es ist zwar noch immer sehr kalt, aber solange wir uns bewegen, halten wir es aus.
Unser Reiseführer hat uns nicht zu viel versprochen. Über mehrere Bergkuppen und Täler erstrecken sich die sieben Seen, welche durch Bäche und Wasserfälle miteinander verbunden sind. Auf schmalen Pfaden wandern wir durch die karge Landschaft und genießen die Aussicht: grüne Täler, Schnee und glasklares Wasser. Es ist wunderschön. Da vergessen wir sogar die anstrengende Wanderung und die Kälte.
Die nächsten Tage verlaufen ruhig. Ich genieße die Routine auf dem Weg: Rucksack packen, wandern, nach blauen Pfeilen suchen, trampen, nach einer Unterkunft durchfragen und früh schlafen gehen. In Plowdiw, der zweitgrößten Stadt des Landes, weichen wir vom Sultan’s Trail ab und fahren nach Burgas. Von dort wandern wir in einen kleinen Ort, in der Nähe der türkischen Grenze. Das Schwarze Meer zieht uns magisch an und so entschließen wir uns, hier zwei Tage lang die Seele baumeln zu lassen.
Mein Eindruck von Bulgarien: Es ist meine erste Reise dorthin und ich hatte zuvor keine genaue Vorstellung von dem Land. Als Reiseziel ist es vor allem bei Jugendlichen beliebt, die in Burgas billigen Strand- und Partyurlaub machen wollen. Aber was mir besonders in Erinnerung bleibt, sind die Kontraste zwischen Arm und Reich. Die Städte sind sehr modern, jung und bunt. Es gibt viele Studierende und Touristen, die Wirtschaft wächst. Das Leben in den ländlichen Regionen ist dagegen recht einfach. Häufig sehen wir Kutschen als Transportmittel und Pferde als Lastentiere. Die Gegensätze fallen auf. Doch ich fühle mich besonders auf dem Land wohl, auch wenn die Bäder etwas gewöhnungsbedürftig sind. Es ist üblich, dass Toilette und Dusche eins sind. Über der Schüssel hockend oder stehend muss man sich mit einem Schlauch abspritzen. Dabei wird das halbe Bad unter Wasser gesetzt, zumindest bei einer Ungeübten wie mir. Eine weitere Herausforderung ist die kyrillische Schrift. Wir haben Probleme, Straßenschilder oder die Speisekarte zu lesen. Zum Glück sind die Bulgar*innen sehr freundlich. Ein verlorener Blick reicht und uns wird Hilfe angeboten.